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Gedanken zum Sommerinterview mit Gauck
27.07.2013 21:40

Unser Bundespräsident plauderte im Sommerinterview unter anderem über Freiheitsrechte und Snowden. Einige Äußerungen sind trotz ruhiger und großväterlicher Vortragsweise aber doch bemerkenswert - folgend kurz umrissen, jeweils mit verlinktem Direktsprung in die passende "Interviewsekunde".

Bettina Schausten beginnt an DIESER Stelle die Überleitung zum Thema "NSA-Spähskandal".

Gauck teilt mit, dass er vor jeder Empörung zunächsteinmal genau hinschaue. So weit, so gut. Gauck schaue sich "die wirkliche Wirklichkeit" an, die außerhalb der Schlagzeilen liege. Das bedeutet im Klartext: Was immer Zeitungen berichten, sie bilden die unwirkliche Wirklichkeit ab. Als Bürger, der um eine persönlich ausgewogene Informationslage bemüht ist, bin ich sehr verblüfft, dass ich offenbar trotz jeder Anstrengung keine Chance habe, mich zu informieren.

Darauf folgend gibt Gauck seinen Blick in die wirkliche Wirklichkeit (im Folgenden "wW") in einem kleinen Abriss frei: Was die USA machen, sei nicht wie bei der Stasi und dem KGB, die dicke Aktenbände führten, in denen unsere Gesprächsinhalte aufgeschrieben und abgeheftet wurden. Dass dies nicht so sei, könne uns aber nicht sorglos stimmen.

Im Gegenteil, Herr Gauck: Ich weiß ja nicht, was Sie mit dieser unklaren "wW-Klausel" ausdrücken wollten, aber hätten Sie mitteilen wollen, dass die elektronische Speicherung von Gesprächsinhalten die alten Stasi- und KGB-Papieraktenführung wie einen Witz wirken lassen, da sie im Jotabyte-Bereich Datenmengen speichern und in Minuten-, wenn nicht sogar in Sekundenschnelle durch Suchalgorhythmen ausgewertet werden können, dann hätte Ihre Wortwahl drastischer ausfallen müssen als: Das kann uns nicht sorglos stimmen. 

Uns (!) empört dies, lieber Herr Gauck, Sie sind lediglich "nicht sorglos". Und das steigert unser Empören, weil es zeigt, dass sich Ihnen offenbar die Brisanz der wW nicht erschließt. Schade, Sie wurden als Bürgerrechtler anmoderiert.

An DIESER Stelle im Interview berichtet Gauck über das G10- Gesetz, obwohl er es nicht benennt. Er plaudert darüber, dass es auch in Deutschland praktiziert wird, Handygespräche abzuhören und auf sensible Begriffe hin zu filtern. Was ich in Deutschland bereits höchst kontrollierenswert finde und misstrauisch beäuge, wird nach Informationslage der unwirklichken Wirklichkeit - also u.a. durch Zeitungen, die sich auf Informationen von Snowden stützen - in den USA wahllos und im großen Stil gegenüber jedermann praktiziert. Und die gesammelten Daten werden auf unbestimmt lange Zeit gespeichert und vorgehalten. Dies ist in unserem G10-Gesetz anders, besser geregelt: Hier müssen "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen", dass jemand Friedens-, Hochverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit etc. geplant, begeht oder begangen hat. 

Hierbei wird der Kernbereich privater Lebensgestaltung ebenso geschützt, wie die Personengruppen mit Zeugnisverweigerungsrecht (z.B. Anwälte, Presse). Deren aufgeschnappte Daten müssen unverzüglich gelöscht werden. Zudem gibt es ein parlamentarisches Kontrollgremium, das regelmäßig über die Einhaltung der engen gesetzlichen Grenzen wacht.

Dies scheint nach allen Informationen von Snowden in den USA nicht so differenziert gehandhabt zu werden. Insofern empfinde ich es als ziemlich unangebracht, wenn Gauck hier einen simplen Richtervorbehalt als Garantie für Rechtmäßigkeit vorgauckelt; denn uns in Deutschland reichte solch ein richterlicher Filter nicht aus, aus diesem Grunde wurde der umständliche G10-Komplex eingerichtet. Also auch an dieser Stelle nicht Entwarnung nach dem Motto "Der freundliche Präsident aus den USA hat gesagt, es ist alles gut", sondern Obacht: In den USA ist es um ein Vielfaches leichter, eine Abhörgenehmigung zu erhalten, als in Deutschland. Schade, dass Herr Gauck diese Unterschiede irgendwie nicht so recht sehen und herauszeichnen wollte.

Aber immerhin zeigt Gauck ab HIER eine bessere Haltung zur Abwägung Sicherheit / Freiheit: Er fordert, dass vor einem Eingriff in die Freiheitsrechte die Bedrohung der Sicherheitslage hinreichend nachgewiesen sein muss. Freiheitsrechte dürften nicht leichtfertig geopfert werden. Auf die Einlassung von Frau Schausten, dass diese Leichtfertigkeit aktuell in der Politik vorherrsche, skizziert Gauck interessanterweise quasi unsere Gewaltenverschränkung: Der Innenminister mag den vollmundigen Eingriff in die Freiheitsrechte vertreten, ihm gegenüber stünden jedoch noch die Justizministerin, die etwas skeptischer sei, weil sie die Grundrechtsabwägung vornehmen müsse und außerdem gebe es noch einen alarmierten Datenschutzbeauftragten. Insgesamt gebe es auch in der Regierung kontroverse Ansichten zur Abwägung Freiheit gegen Sicherheit.

Abschließend HIER noch kurz zu Gaucks Einschätzung der Enthüllungen von Snowden und etwaiger Sympathie zu seiner Person: Gauck hätte nur in dem Fall Sympathie, wenn Snowden die Rechtsbeugung der Regierung sowohl veröffentlicht als auch sich den Behörden in den USA gestellt hätte - dadurch also seine Verantwortung tragen würde. 

Gerade dies ist aber angesichts des Gebahrens der USA eben mehr als fragwürdig. Einem Land, das Guantanamo betreibt, das die Todesstrafe verhängt, das über 100-jährige Haftstrafen verhängt und dessen Geheimdienste sich laut Snowden derart von Recht und Ordnung verselbständigt haben, dass offenbar sogar die Meldung an einen Vorgesetzten Gefahr für Leib und Leben bedeuten könnte - einem solchen Land sollte man Whistleblower wie Snowden nicht überantworten.

Solchen Menschen, die ihr Leben und ihre Zukunft für die meist undankbare Gesellschaft bereits in die Waagschale warfen, sollte man den Respekt nicht deswegen vorenthalten, weil sie sich in letzter Konsequenz einem zu erwartenden unrechten Prozess nicht stellen wollen. Wer Respekt nur für Märtyrer aufbringen kann, der ist in Wirklichkeit respektlos. Aber man muss Gauck zugutehalten, dass er seine Äußerungen unter der Einschränkung abgab, dass er für eine Beurteilung von Snowdens Tat aktuell zu wenig Informationen habe. Vielleicht ist ja noch Besserung in Sicht.

Alles in allem ein eigentlich aufreibendes Interview - wäre Jochim Gauck nicht so tranig und die Moderatorin nicht so...ungeeignet.

Einen schönen Sommer noch!

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